Was ich werden will

Kirche in WDR2 | 19.04.2024 | 00:00 Uhr

Wir

sitzen zuhause am Küchentisch, das Frühstücksbrötchen in der Hand, mein

Achtjähriger und ich. „Papa“, sagt er, „weißt du was ich werden will?“ Wir

haben das Thema dauernd. Er hat jeden Tag neue Ideen, was mal aus ihm werden

soll, wenn er groß ist. Es gibt so viele Möglichkeiten! Aber an diesem Morgen

ist er sich sicher: „Ich werde Pfarrer.“ „Oh,“ sage ich, ziemlich erstaunt. Die

Idee hatte er noch nie. Ich bin ein bisschen stolz: Das Kind tritt in die

Fußstapfen des Vaters! Ich frage: „Wie kommst du darauf?“ Er sagt: „Wenn ich

Pfarrer bin, muss ich nicht in den Krieg. Eigentlich möchte ich lieber Lehrer

sein. Aber als Lehrer muss ich in den Krieg und kämpfen. Und das will ich

nicht. Ich möchte ein ruhiges Leben haben.“ Damit habe ich nicht gerechnet. Ich

versuche, das Gespräch irgendwie noch in eine positive Richtung zu lenken. Aber

es klappt nicht so richtig. Weder für ihn, noch für mich. Es ist einfach

traurig, zu sehen, wie Krieg, Tod und Zerstörung in das Denken deines Kindes

einbrechen. Als echte Aussicht auf die Zukunft. Unsere Welt hat sich sehr

verändert in den letzten zwei Jahren. Ich mich auch. Der alte „Schwerter zu

Pflugscharen“-Aufkleber ist verschwunden. Friedenslieder singe ich nur noch

selten. „Let’s give peace a chance.“ Wie naiv das heute klingt! Heute kenne ich

die Namen von Flugabwehrsystemen, fachsimple über die Vor- und Nachteile

bestimmter Panzertypen. Und diskutiere: Was wird in der Ukraine dringender

gebraucht – Artilleriemunition oder Marschflugkörper? Oder doch eigene

Bodentruppen? Und dann schaut mich mein Sohn an und sagt: „Ich möchte nicht

kämpfen.“ Er möchte niemanden erschießen. Er möchte lieber Lehrer sein. Oder

Koch. Oder vielleicht doch lieber Astronaut. Ich erschrecke: Wann ist es

eigentlich passiert, dass der Krieg für mich zu einem so alltäglichen Thema

geworden ist? Oft merke ich gar nicht mehr, dass die Dinge, über die ich so

neutral rede, in Wahrheit Tod und Zerstörung bedeuten. Mir ist klar: Manchmal

kommt man im Leben an harten und schwierigen Entscheidungen nicht vorbei. Aber:

Sollte es mir nicht schwerer fallen? Sollten meine Sätze nicht nachdenklicher

sein und weniger vollmundig? „Selig sind die Friedensstifter.“, sagt Jesus. In

der Bergpredigt. Selig, das bedeutet: Besonders glücklich. Mittlerweile kommen

mir Zweifel. Nicht an Jesus. An mir: Ein besonders guter Friedensstifter bin

ich gerade wahrscheinlich nicht. Vielleicht bin ich auch deshalb gerade nicht

„besonders glücklich“.

Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth

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  • 19.4.2024
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