Nathan

Kirche in WDR2 | 06.04.2024 | 00:00 Uhr

Ich hab’s in der Schule gelesen und Sie

vielleicht auch. „Nathan der Weise“ steht immer noch auf der Lektüreliste, wenn

man Abi machen will. Dabei ist das Stück von Lessing fast 250 Jahre alt. Entstanden

ist es wegen eines Streits mit der Kirche, konkret: dem Hauptpastor von

Hamburg. Der war so mächtig, dass er dafür sorgt, dass Lessing seine

Publikationserlaubnis verliert. Deshalb probt Lessing den zivilen Ungehorsam.

Er will testen, „ob man ihn wenigstens auf seiner alten Kanzel, dem Theater

noch ungestört predigen lassen will“. Deshalb schreibt er „Nathan der Weise“.

Die Botschaft des Stücks ist ganz eindeutig: Die

drei großen Religionen, also christlich, muslimisch und jüdisch sind

gleichwertig. Sie müssen sich gegenseitig tolerieren. Doch Lessings Utopie von

Vernunft und religiöser Toleranz entspricht nicht dem Zeitgeist. Nach der Uraufführung

und mickrigen drei weiteren Vorstellungen wird das Stück abgesetzt.

Was ist passiert? Lessing hat einen Juden zum

positiven Helden gemacht. Einen Vertreter einer damals in Europa komplett

verachteten Minderheit. Aber seine Nathan-Figur streitet gegen religiöse

Engstirnigkeit und für ein aufgeklärtes Gottesverständnis.

Der Literaturklassiker, der in der Zeit der

Kreuzzüge spielt, geht so: Nathan ist ein reicher jüdischer Händler. Als er von

einer Reise zurückkommt, hat sein Haus in Jerusalem gebrannt. Fast wäre Recher,

seine Tochter, darin gestorben. Aus den Flammen gerettet hat sie ein christlicher

Tempelritter. Der verliebt sich in die junge Frau und will sie heiraten. Doch

Recher ist nicht Nathans leibliche Tochter. Sie ist Christin und quasi

adoptiert. Als der christliche Patriarch von Jerusalem davon erfährt, will er

Nathan auf dem Scheiterhaufen verbrennen.

Nathan entgegnet ihm: „Was heißt das schon? Jüdisches Volk, Christen, Muslime

– wir haben uns das Volk, dem wir angehören, ja nicht ausgesucht. Sind wir denn

in erster Linie Christ oder Jude? Nein, wir sind vor allem Menschen!“

Das ist heute so aktuell wie damals.

Vielleicht hat Margot Friedländer auch Nathan der Weise gelesen. Die über

100-jährige Holocaust-Überlebende formuliert es so: „Wir sind alle gleich – es gibt kein christliches,

muslimisches, jüdisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut. (…) Wir sind

Menschen, nichts anderes. Seid doch Menschen!“

Quellen:

https://www.swr.de/swr2/literatur/broadcastcontrib-swr-11646.html

https://www.deutschlandfunk.de/14-04-1783-lessings-schauspiel-nathan-der-weise-wird-uraufgefuehrt-dlf-c4a813c1-100.html

https://www.tagesspiegel.de/berlin/vor-zehn-jahren-war-das-nicht-so-berliner-holocaust-uberlebende-margot-friedlander-enttauscht-uber-angriffe-auf-judische-einrichtungen-10686073.html

(beide zuletzt abgerufen am 28.

Februar 2024)

Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/63740_WDR2240406Garbisch.mp3

  • 6.4.2024
  • Uta Garbisch
  • cco pixabay
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