Ich hab’s in der Schule gelesen und Sie
vielleicht auch. „Nathan der Weise“ steht immer noch auf der Lektüreliste, wenn
man Abi machen will. Dabei ist das Stück von Lessing fast 250 Jahre alt. Entstanden
ist es wegen eines Streits mit der Kirche, konkret: dem Hauptpastor von
Hamburg. Der war so mächtig, dass er dafür sorgt, dass Lessing seine
Publikationserlaubnis verliert. Deshalb probt Lessing den zivilen Ungehorsam.
Er will testen, „ob man ihn wenigstens auf seiner alten Kanzel, dem Theater
noch ungestört predigen lassen will“. Deshalb schreibt er „Nathan der Weise“.
Die Botschaft des Stücks ist ganz eindeutig: Die
drei großen Religionen, also christlich, muslimisch und jüdisch sind
gleichwertig. Sie müssen sich gegenseitig tolerieren. Doch Lessings Utopie von
Vernunft und religiöser Toleranz entspricht nicht dem Zeitgeist. Nach der Uraufführung
und mickrigen drei weiteren Vorstellungen wird das Stück abgesetzt.
Was ist passiert? Lessing hat einen Juden zum
positiven Helden gemacht. Einen Vertreter einer damals in Europa komplett
verachteten Minderheit. Aber seine Nathan-Figur streitet gegen religiöse
Engstirnigkeit und für ein aufgeklärtes Gottesverständnis.
Der Literaturklassiker, der in der Zeit der
Kreuzzüge spielt, geht so: Nathan ist ein reicher jüdischer Händler. Als er von
einer Reise zurückkommt, hat sein Haus in Jerusalem gebrannt. Fast wäre Recher,
seine Tochter, darin gestorben. Aus den Flammen gerettet hat sie ein christlicher
Tempelritter. Der verliebt sich in die junge Frau und will sie heiraten. Doch
Recher ist nicht Nathans leibliche Tochter. Sie ist Christin und quasi
adoptiert. Als der christliche Patriarch von Jerusalem davon erfährt, will er
Nathan auf dem Scheiterhaufen verbrennen.
Nathan entgegnet ihm: „Was heißt das schon? Jüdisches Volk, Christen, Muslime
– wir haben uns das Volk, dem wir angehören, ja nicht ausgesucht. Sind wir denn
in erster Linie Christ oder Jude? Nein, wir sind vor allem Menschen!“
Das ist heute so aktuell wie damals.
Vielleicht hat Margot Friedländer auch Nathan der Weise gelesen. Die über
100-jährige Holocaust-Überlebende formuliert es so: „Wir sind alle gleich – es gibt kein christliches,
muslimisches, jüdisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut. (…) Wir sind
Menschen, nichts anderes. Seid doch Menschen!“
Quellen:
https://www.swr.de/swr2/literatur/broadcastcontrib-swr-11646.html
https://www.deutschlandfunk.de/14-04-1783-lessings-schauspiel-nathan-der-weise-wird-uraufgefuehrt-dlf-c4a813c1-100.html
https://www.tagesspiegel.de/berlin/vor-zehn-jahren-war-das-nicht-so-berliner-holocaust-uberlebende-margot-friedlander-enttauscht-uber-angriffe-auf-judische-einrichtungen-10686073.html
(beide zuletzt abgerufen am 28.
Februar 2024)
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/63740_WDR2240406Garbisch.mp3