Leben im Leid

Kirche in WDR3 | 06.03.2024 | 00:00 Uhr

Autorin: Guten Morgen. „Menschen werden gesehen von dir und danken dir.“

Der, von dem hier die Rede ist, heißt Thomas

Römbke und hat eine Woche lang die Ukraine bereist. Viele Menschen hat er so

gesehen und mit ihnen gesprochen. Die Fotos und Geschichten, die dabei

entstanden sind, hat er ausgestellt.

Besonders beeindruckt hat

mich das Bild von Vasyl. Er steht im Garten seines zerstörten Hauses in Donezk.

Ein paar unbrauchbare schwarze Schallplatten hat er unter den linken Arm

geklemmt und in der rechten Hand hält er einen kaputten Pappkarton mit der

Aufschrift: ‚The Beatles-Collection‘. 500 Schallplatten hatte er im Lauf des

Lebens vor dem Krieg gesammelt, die meisten seiner Lieblingsplatten sind nun für

immer verloren. „Um sein Leben wieder aufzubauen, begann Vasyl Honig

herzustellen. Mit viel Mühe pflegt er zwei Bienenvölker, die ihm einen

kostbaren Vorrat an Honig liefern.“ So lese ich es auf dem Textblatt, das neben

Vasyls Foto hängt. In einem TV-Interview von

der Lokalzeit Köln erzählt Thomas Römbke:

O-Ton Römbke: In der Region Donezk ist es tatsächlich

so, dass Sie kein Haus mehr finden, was in Ordnung ist. Es ist alles zerbombt.

Jedes Haus hat `ne Geschichte, und in jedem Haus wohnt ein Schicksal.

Autorin: Vasyl vor seinem zerstörten Haus erinnert mich an

Hiob, von dem in der Bibel erzählt wird. Hiob verliert alles, was ihm lieb und

wertvoll ist. So wie Vasyl. Das einzige, was Hiob bleibt, ist sein Glaube an

Gott. Irgendwann fängt Hiob einfach an, mit Gott zu schimpfen.

Und

das klingt so:

„Ich

schrei zu dir, aber du antwortest mir nicht. (…) Ich wartete auf das Gute, und

es kam das Böse. In mir kocht es und hört nicht auf. Habe ich etwa die Rechte

anderer missachtet, obwohl sie etwas gegen mich hatten? Habe ich den

Bedürftigen ihre Bitte verweigert?“

(Die

Bibel, Luther 2017, Auswahl aus Hiob 30,26f und 31)

Der

rechtschaffene Hiob fühlt sich zu Unrecht bestraft. Er klagt und er klagt Gott

an. Aber darauf geht Gott nicht ein. Und jetzt stellt Gott Hiob Fragen. Und

stellt die gesamte menschliche Logik in Frage. Gott fragt Hiob: Wo warst du,

als ich die Welt erschaffen habe? Darauf hat Hiob schlicht keine Antwort. Und

das ist heilsam. Für Hiob und so auch für mich. Denn von Hiob lerne ich, dass

es keine schnellen Antworten gibt in schrecklichen Situationen. Und ich lerne

auch, dass Menschen, die auf alles sofort eine Antwort haben, damit zu schnell

und zu voreilig sind.

O-Ton Thomas Römbke: Ich hab mich viel mit meiner Frau

da drüber unterhalten, mit meiner Familie und mit guten Freunden, um das halt

auch einfach mal erzählen zu können, damit das aus dem Kopf rauskommt, was man

da unten sieht.

Autorin: Es gibt keine klare Antwort auf das Warum. Damit

muss man erstmal klarkommen. Warum Menschen zu den Waffen greifen und

Diktatoren zu den Waffen rufen – ich persönlich werde es nie verstehen. Und

gleichzeitig höre ich immer wieder von Menschen, die schreckliches Leid

aushalten mussten, dass da plötzlich jemand war, ein Mensch, der Hilfe brachte.

So wie Thomas Römbke und seine Begleiter vom Blau-Gelben Kreuz. Sie brachten

Generatoren, Wasser und Nahrung. Und hörten zu und sahen hin. Hielten mit Vasyl

gemeinsam sein Leid aus.

O-Ton Tomas Römbke: Ich hab` `nen ganzen Rucksack voll

Demut mitgebracht, und ich bin sehr dankbar dafür, dass wir hier seit mehr als

80 Jahren in Frieden leben dürfen und hoffe, dass das noch lange so bleibt.

Autorin: Frieden fällt nicht vom Himmel, aber Menschen können

helfen. Auch im Krieg.

Meint Gerlinde Anders,

Pfarrerin in Leverkusen.

Quellen:

https://www1.wdr.de/lokalzeit/fernsehen/aachen/was-uebrig-bleibt-fotoausstellung-von-thomas-roembke-ueber-menschen-in-der-ukraine-100.html, letzter Zugriff am 15.2.2024

Vgl. https://www.radioleverkusen.de/artikel/fotograf-thomas-roembke-nach-ukrainereise-zu-besuch-1784179.html, letzter Zugriff am 28.1.2024.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/63465_WDR35240306Anders.mp3

  • 6.3.2024
  • Gerlinde Anders
  • © Thomas Römbke
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