Guten Morgen!
Wer ist ihn
noch nicht gelaufen – wenn nicht mit Absicht, dann aus Zufall: den Weg, der mit
der Jakobsmuschel beschildert ist. Ob pilgernd oder ohne geistlichen Anspruch,
ob in Coesfeld, Koblenz oder Colmar, man kommt kaum am Jakobsweg vorbei, diesem
Netz aus Pilgerwegen in ganz Europa.
Sein Namensgeber Jakobus und dessen Bruder Johannes haben zu den engsten
Vertrauten von Jesus gehört – beide ziemliche Hitzköpfe. Nicht umsonst haben
sie den Spitznamen „Donnersöhne“. Sie sind mit Jesus unterwegs und als sie,
müde vom Wandern, keine Unterkunft im Dorf finden, schlagen die Brüder vor: „Sollen
wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und die Leute vernichtet?“ Donnerwetter.
Da bleibt mir die Luft weg vor Schreck über solche Phantasien. Jesus wendet sich
um und weist sie streng zurecht. Dies ist nicht der einzige irrwitzige und peinliche
Vorschlag, mit dem Jakobus und Johannes zu Jesus kommen.
Ein anderes Mal nehmen sie ihren Meister zur Seite und wollen sich die
künftigen Ministerposten sichern: „Lass in deinem Königreich den einen von uns
rechts und den anderen links von dir sitzen.“ Großes Mundwerk und gar nicht
genierlich darin, frühzeitig die Karriereleiter in Stellung zu bringen beim
Chef.
Sie glauben tatsächlich, dass Jesus demnächst ganz groß rauskommen wird.
Dass es ein Leidensweg wird, haben sie im Eifer überhört. Sie wollen ihre
Handtücher gewissermaßen schon mal an den Pool legen. Es ist bemerkenswert,
dass Machtverliebtheit in der Kirche schon in der Bibel so deutlich
thematisiert wird. Und so humorvoll. Ich habe jedes Mal meinen Spaß an dieser
Mischung aus Verdruckstheit und Schamlosigkeit, mit der die beiden Donnersöhne in
dieser Szene auftreten.
„Ihr wisst nicht, was ihr da verlangt.“, antwortet Jesus Johannes und
Jakobus geduldig. „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker
unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei
euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll
euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller
sein.“ (Die Bibel, Luther 2017, Markus 10,42ff)
Soweit das christliche Ideal. In der Praxis sieht das anders aus. Man
kann auch mit Dienstbeflissenheit wunderbar herrschen. Im Tarnanzug der Demut
kann man ganz spezielle Machttechniken ausbilden. Kaum jemand, der ein Amt
antritt, lässt sich heutzutage lumpen und bekennt seine große Demut vor der
Aufgabe.
„Ich opfere mich auf für euch“, sagt eine, und
reißt alles an sich. „Wir müssen doch vergeben“, meint ein anderer, und vertuscht,
was ans Licht gemusst hätte. Das Repertoire der Machtspiele unter dem Mantel
von Dienen und Demut ist vielfältig. Ich habe sie auch drauf. Aber es geht nicht darum, die Macht anders zu nennen, sondern
ihrem Missbrauch zu widerstehen – zuerst bei mir selbst.
Es war ein weiter Weg für Jakobus zu begreifen, was einen wirklich groß
macht: nicht das große Maul, nicht das hohe Ross und nicht der großartige Ruf
wie Donnerhall. Größe zeigt sich, wenn ich mir und dem anderen treu bleibe,
auch dann, wenn ich dadurch etwas verliere.
Jakobus war ein Großer. Er ließ sich für seinen Glauben an Jesus
hinrichten. Der Weg mit der Muschel erinnert daran.
(Ende WDR 4,
Verabschiedung für WDR 3 und WDR 5:)
Einen gesegneten Tag wünscht Ihnen Pfarrerin Silke Niemeyer aus Münster.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
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