Erwachsen werden

Kirche in WDR3 | 09.03.2024 | 00:00 Uhr

Guten

Morgen.

„Ich

will nie erwachsen werden“. Das war meine feste Überzeugung, als ich achtzehn war.

Klar, Führerschein machen, sich für einen Beruf entscheiden, Berufswünsche

abwägen, alles dürfen. Das ja. Aber bitte nicht so werden wie meine Eltern. Die

waren aus meiner Perspektive damals völlig übertrieben vorsichtig. Immer

ordentlich. Immer den gewohnten Trott. Ich wollte Neuem

gegenüber offenbleiben, beweglich, in Gedanken und Gefühlen. Auch als

Erwachsene.

Mit

55, dachte ich: Ich glaub, das hat nicht geklappt mit meinem Vorsatz. Ich bin

jetzt einfach erwachsen, ob ich das will oder nicht. Ich finde nicht mehr jede

neue Idee gut wie mit achtzehn. Ich kann es nicht, ich muss es aber auch nicht.

Schließlich habe ich während der vielen letzten Jahre gemerkt: Es gibt oft gute

Gründe, wenn eine neue Idee dann doch nicht umsetzbar ist. Ich habe gemerkt,

warum etwas nicht funktioniert hat. Ganz gleich ob in der Gemeindearbeit, in

der Gesellschaft oder auch privat. Immer wieder hat mich das Leben auf den

Boden der Tatsachen zurückgeholt.

Und

ich würde sagen: Oft war es auch gut so. Im Kleinen wie im Großen. Mal hat es

Geld gespart. Statt den teuren Pullover in der Modefarbe zu kaufen, gab´s halt

nur ein T-Shirt in grellpink. Manchmal hat es Zeit gespart, nicht gleich das

ganze Konzept zu modernisieren, sondern erst mal mit einem Projekt anzufangen. Und

es war gut auszuprobieren, ob die Veränderung auch hilfreich ist oder

angenommen wird.

Als

meine Mutter mit 93 Jahren gestorben ist, ich selbst war inzwischen über 60, kam

mir wieder das Wort „Erwachsenwerden“ in den Sinn.

Obwohl

– hatte ich mit 55 nicht schon einmal gedacht, ich wäre erwachsen geworden? Der

Unterschied:

Ab

jetzt gibt es zwischen dem Tod und mir keine Generation mehr, dachte ich. Jetzt

muss ich entscheiden, wie ich bis zu meinem Tod leben will, ganz konkret für

mein eigenes Leben. In anderthalb Jahren gehe ich in den Ruhestand. Und ich

stelle mir die Frage, wie ich meine Berufserfahrung sinnvoll in jüngere Hände

geben kann. Und ob die jüngere Generation meine Erfahrung überhaupt haben will…

Vielleicht sind sie ja froh, dass ich endlich nicht mehr so langsam und so ordentlich

arbeite. Damit es schneller gehen kann.

Mit

achtzehn dachte ich: „Ich will nie erwachsen werden.“ Nicht so ordentlich,

nicht so eingefahren. Nicht so spießig, wie die Erwachsenen. Aber ich hab im

Laufe der Zeit dann doch so manche Ordnung für mich entdeckt. Dabei gleichzeitig

meine Offenheit zu bewahren, haben mir die Gedanken der 85jährigen Nadine Stair

geholfen: Sie beginnen so:

„Wenn

ich mein Leben nochmal leben könnte, würde ich versuchen mehr Fehler zu machen.

Ich würde mich entspannen. Ich würde bis zum Äußersten gehen. Ich würde

alberner sein. Ich weiß einige Dinge, die ich ernster nehmen würde. Ich würde

verrückter sein.“ Und im Weiteren kommen Berge vor und Sonnenuntergänge, sie

würde mehr Eis essen und weniger Spinat. Mehr Gänseblümchen pflücken.

Seither

habe ich einen Gedanken von Nadine Stair immer in meinem Kopf: „Ich würde im

Frühling früher anfangen, barfuß zu laufen und im Herbst später damit

aufhören.“

Heute

ist es mir noch etwas zu kalt dafür.

Dass

wir beim Älterwerden jung bleiben, im Kopf und im Herzen, dass wünsche ich Ihnen

und mir. Gerlinde Anders, Pfarrerin in Leverkusen

Quelle: https://www.achtsamerleben.de/wenn-ich-mein-leben-noch-einmal-leben-koennte/ (Abgerufen 3.2.24)

Redaktion: Landespfarrerin Petra

Schulzehttps://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/63468_WDR35240309Anders.mp3

  • 9.3.2024
  • Gerlinde Anders
  • © CCO Pixabay
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