Tag der Muttersprachen

Kirche in WDR3 | 21.02.2024 | 00:00 Uhr

Guten Morgen!

Heute ist der

„Internationale Tag der Muttersprachen“. Im Jahr 2000 hat die UNESCO ihn ausgerufen.

Es gibt nämlich nicht nur vom Aussterben bedrohte Tierarten. Auch ein Großteil

der Sprachen der Welt ist von Aussterben bedroht. Statistisch gesehen

verschwindet fast jede Woche eine Sprache für immer von der Erde.

Von wem habe

ich eigentlich sprechen gelernt, habe ich mich gefragt. Klar, von meiner

Mutter. Ich höre mich ja heute noch manchmal reden wie sie. Aber nicht sie

allein.

Oft spreche

ich ganz wie der Papa. Meine Muttersprache ist auch eine Vatersprache. Und:

eine Opasprache. Es ist Opa Carls Stimme, die mir viel beigebracht hat, was für

mich ein Leben lang der Rede wert sein wird. Er hat mir Geschichten und die

Freude an ihnen im besten Sinn „eingeredet“. Aber es sind eigentlich nicht die Worte,

die mir zuerst einfallen. Es ist die Geborgenheit in Opa Carls Arm. In jener

Zeit, in der ich meinen Mund noch mehr zum Daumenlutschen als zum Sprechen

gebrauche. Ich bin ganz Ohr, wenn er mir ein Märchen nach dem anderen erzählt.

Meistens auf Plattdeutsch. „Die Bremer Stadtmusikanten“ ist mein liebstes

Märchen. Die Geschichte von Esel, Hund, Katze und Hahn, die was Besseres finden

wollen als den Tod und die die Räuber aus dem Haus vertreiben. „Nochmal!“,

fordere ich. Und Opa Carl erzählt nochmal. Und nochmal. Wie bin ich ihm dankbar,

für die Worte und für den Arm.

Warum

verschwinden bloß so viele Sprachen? Manche, weil

Herrscher mit ihrem Machtwort verbieten, sie zu sprechen und zu lehren. So

demütigt man Menschen, raubt ihre Identität und macht sie buchstäblich mundtot.

Sprachfragen sind Machtfragen. Und sie sind Widerstandsfragen. Ich erinnere mich an die Lebenserinnerungen

der alten russlanddeutschen Frauen, die ich als junge Pfarrerin kennenlernte. Die

Tapferen hatten unter Stalin ihrer deutschen Muttersprache das Leben gerettet. Die

alten christlichen Lieder vom Heiland und der ewigen Seligkeit zu singen, war

nicht nur ihre Tradition, es war ihr Widerstand. Sie hatten sie bei ihrer Übersiedlung

mitgebracht in abgegriffenen uralten Liederbüchlein und sangen daraus, sooft

einer der Ihren zu Grabe getragen wurde. Es war ergreifend.

Sprache und

Leben, Sprache und Macht, und noch etwas: Sprache und Liebe gehören aufs Engste

zusammen. „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die

Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.“ (Die

Bibel, Luther 2017, 1. Korinther 13,1), schreibt der Apostel Paulus. Und meint

damit: Wer lieblos redet, redet Blech.

Daran will

ich mich erinnern, wenn ich mal wieder Lust habe auf gemeine Sprache. Vielleicht

würde sie mir für einen Moment Befriedigung verschaffen. Doch ich weiß ja: Wenn

es mir nur darauf ankommt wehzutun, auszuteilen und das letzte Wort zu

behalten: dann bin ich nichts als ein dröhnender Gong oder eine schrille

Sirene. Die Sprache der Liebe ist die Muttersprache des Glaubens, sei es in

Deutsch, Englisch, Russisch oder Chinesisch. Sie darf nicht aussterben.

Die in der heutigen

Ukraine geborene jüdische Dichterin Rose Ausländer schreibt.

Wir wohnen

Wort an Wort

Sag mir

dein liebstes

Freund

meines heißt

DU

(Rose Ausländer, Wort an Wort.

Aus: dies., Im Aschenregen die Spur deines Namens. Gedichte und Prosa 1976. S. Fischer

Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1984.)

(Ende WDR 4,

Verabschiedung für WDR 3 und WDR 5:)

Einen gesegneten Tag wünscht Ihnen Pfarrerin Silke Niemeyer aus Münster.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/63299_WDR35240221Niemeyer.mp3

  • 21.2.2024
  • Silke Niemeyer
  • © Foto von Priscilla Du Preez auf Unsplash
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