Die Uhr meiner Großmutter

Kirche in WDR3 | 08.03.2024 | 00:00 Uhr

Guten

Morgen.

Sie

hängt an einer Kette, die ich trage. Eine kleine goldene Uhr mit weißem

Zifferblatt. Früher hat sie auch mal funktioniert. Seit Ende des zweiten Weltkrieges

hatte meine Großmutter sie nur noch als Schmuckstück getragen, und ich lass das

jetzt auch so. Diese Uhr war das einzige Schmuckstück, das die Flucht aus

Oberschlesien überstanden hatte. Und so erinnerte die Uhr meine Großmutter an

die alte Heimat.

Wenn ich die Uhr im Kreis von

Menschen zwischen 50 und 60 trage und ihre Geschichte dazu erzähle, erzählen

wir uns schnell gegenseitig die Kriegs- oder Fluchtgeschichten unserer Eltern

und Großeltern. Und stellen fest: Eigentlich gibt es in fast jeder Familie eine

Migrationsgeschichte. Zumindest ein Elternteil musste flüchten: meine

Großmutter mit meinem Vater aus Pless in Oberschlesien. Großmutter und Mutter meines

Mannes aus Danzig. Seine andere Großmutter mit seinem Vater flüchtete aus

Georgendorf im Sudetenland. Und dann das schwere Leben im Krieg: Meine

Großmutter mütterlicherseits hat mit ihrem Mann die Kriegsjahre in Duisburg

zwischen dem Haus und einem Bunker in der Nähe verbracht. Sie hatten die bettlägerige

Urgroßmutter im Haus. Die konnte nicht mehr in den Bunker gehen, wenn

Fliegeralarm war. Meine Mutter, damals 14 Jahre, hatten meine Großeltern zur

Verwandtschaft nach Lichtenau bei Paderborn geschickt, auf dem Land war es

sicherer als in der Stadt.

Wenn ich die Uhr in unserer

Schule trage und ihre Geschichte dazu erzähle, sind Schülerhttps://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/63467_WDR35240308Anders.mp3

  • 8.3.2024
  • Gerlinde Anders
  • © CCO Pixabay
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