Krank. Neidisch. Zornig.

Kirche in WDR3 | 20.02.2024 | 00:00 Uhr

Guten Morgen!

Es ist jetzt schon lange her.

Und die Tage, an denen ich dran denke, sind selten. Wie der Arzt sagte, dass

dieser Knoten doch nicht so harmlos sei wie vermutet. Es ist schon grotesk: Kein

Wehwehchen plagt, trotzdem ist auf einmal das Gefühl da, dem Tode nahe zu sein.

Wie gesagt: alles gut gegangen. Glück gehabt. Großartige Ärzte gehabt. Gott?

Weiß nicht. Haben denn die, die sterben, keinen gnädigen Gott?

Klar, hatte ich Angst. Aber ich

will über zwei andere Erfahrungen von damals reden. Die eine: Ich war

unglaublich neidisch. Ich war neidisch auf die glücklichen Kollegen, die ihren

Dienst machen und in langweiligen Sitzungen sitzen durften. Ich war neidisch

auf das glückliche Pärchen im Park, das sich lauthals stritt über irgendeinen

kleinen Mist. Ich war neidisch, neidisch, neidisch. Warum ausgerechnet ich?

Total klischeehaft. Ich weiß, und wusste auch damals: Auf diese

selbstmitleidige Frage, kann es vernünftigerweise nur eine Antwort geben: Warum

nicht? Trotzdem. Sie kam mir ernsthaft in den Sinn. Ich fand es so ungerecht,

dass es mich erwischt hatte.

Und das andere: Zorn.

Zorn über die, die mir mit

dem Krebs ihrer angeheirateten Cousine, ihrer ehemaligen Kollegin oder ihres

übernächsten Nachbarn kamen und von deren Komplikationen oder Therapien

erzählten. Haltet den Mund. Kapiert ihr nicht? Mein Krebs gehört mir.

Zorn auch über alle, die mir

etwa so kamen: Du wirst gewiss in diesem Frühjahr die Schneeglöckchen viel

schöner wahrnehmen und das Leben zu schätzen wissen. Nein, wusste ich nicht.

Und wollte ich nicht. Erst recht nicht, wenn es von mir erwartet wurde. Als

wäre ein Tumor eine spirituelle Erfahrung. Als wäre es automatisch so, dass man

da wieder staunen, beten und glauben lernt. Stimmt nicht. Oder stimmt manchmal

und dann auch wieder das Gegenteil. Dass nämlich alles leer und freudlos ist

und der liebe Gott einem gestohlen bleiben kann.

Zorn am meisten über die, die

Moral versprühten und meinten, dass man sich von der Krankheit veredeln lassen

sollte. „Die Friederike“, so empörte sich bei mir eine Kollegin über jene, die

ich hier Friederike nenne, „die hat auch Krebs gehabt. Aber die hat nichts in

ihrem Leben verändert.“ Ehrlich nicht? Dann ist es ja gut.

Eine meiner besten

Seelsorgerinnen war Brigitte. Sie kam nach resolutem Klopfen ins Krankenzimmer

geschneit, warf mit Schmackes ihr Mitbringsel, eine Tüte Paprikachips, auf die

Bettdecke und schleuderte die gepfefferten Worte hinterher: „Was für eine Scheiße!“.

Und da hatte sie vollkommen recht. Mehr war nicht zu sagen. Aber gut, dass das

mal einer außer mir sagte. Das ist eine echte Grundlage, auf der man weitermachen

kann.

Natürlich verändert eine

gravierende Krankheit das Leben. Sie macht empfindlicher. Und sie macht

unempfindlicher. Sie raubt Vertrauen. Und sie schenkt anderes Vertrauen. Sie

macht weicher. Und sie macht härter. Meine Krankheit damals hat mir nicht Gott

näher gebracht. Aber er, er ist mir öfter nahegekommen – nicht, wenn ich es

wollte, sondern wann er es wollte. Ich bin zuversichtlich, dass er es weiter so

halten wird.

(Ende WDR 4, Verabschiedung

für WDR 3 und WDR 5:)

Einen gesegneten Tag wünscht

Ihnen Pfarrerin Silke Niemeyer aus Münster.

Redaktion: Landespfarrerin Petra

Schulze

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  • 20.2.2024
  • Silke Niemeyer
  • © Foto von National Cancer Institute auf Unsplash
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