Guten
Morgen.
„Ich
will nie erwachsen werden“. Das war meine feste Überzeugung, als ich achtzehn war.
Klar, Führerschein machen, sich für einen Beruf entscheiden, Berufswünsche
abwägen, alles dürfen. Das ja. Aber bitte nicht so werden wie meine Eltern. Die
waren aus meiner Perspektive damals völlig übertrieben vorsichtig. Immer
ordentlich. Immer den gewohnten Trott. Ich wollte Neuem
gegenüber offenbleiben, beweglich, in Gedanken und Gefühlen. Auch als
Erwachsene.
Mit
55, dachte ich: Ich glaub, das hat nicht geklappt mit meinem Vorsatz. Ich bin
jetzt einfach erwachsen, ob ich das will oder nicht. Ich finde nicht mehr jede
neue Idee gut wie mit achtzehn. Ich kann es nicht, ich muss es aber auch nicht.
Schließlich habe ich während der vielen letzten Jahre gemerkt: Es gibt oft gute
Gründe, wenn eine neue Idee dann doch nicht umsetzbar ist. Ich habe gemerkt,
warum etwas nicht funktioniert hat. Ganz gleich ob in der Gemeindearbeit, in
der Gesellschaft oder auch privat. Immer wieder hat mich das Leben auf den
Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Und
ich würde sagen: Oft war es auch gut so. Im Kleinen wie im Großen. Mal hat es
Geld gespart. Statt den teuren Pullover in der Modefarbe zu kaufen, gab´s halt
nur ein T-Shirt in grellpink. Manchmal hat es Zeit gespart, nicht gleich das
ganze Konzept zu modernisieren, sondern erst mal mit einem Projekt anzufangen. Und
es war gut auszuprobieren, ob die Veränderung auch hilfreich ist oder
angenommen wird.
Als
meine Mutter mit 93 Jahren gestorben ist, ich selbst war inzwischen über 60, kam
mir wieder das Wort „Erwachsenwerden“ in den Sinn.
Obwohl
– hatte ich mit 55 nicht schon einmal gedacht, ich wäre erwachsen geworden? Der
Unterschied:
Ab
jetzt gibt es zwischen dem Tod und mir keine Generation mehr, dachte ich. Jetzt
muss ich entscheiden, wie ich bis zu meinem Tod leben will, ganz konkret für
mein eigenes Leben. In anderthalb Jahren gehe ich in den Ruhestand. Und ich
stelle mir die Frage, wie ich meine Berufserfahrung sinnvoll in jüngere Hände
geben kann. Und ob die jüngere Generation meine Erfahrung überhaupt haben will…
Vielleicht sind sie ja froh, dass ich endlich nicht mehr so langsam und so ordentlich
arbeite. Damit es schneller gehen kann.
Mit
achtzehn dachte ich: „Ich will nie erwachsen werden.“ Nicht so ordentlich,
nicht so eingefahren. Nicht so spießig, wie die Erwachsenen. Aber ich hab im
Laufe der Zeit dann doch so manche Ordnung für mich entdeckt. Dabei gleichzeitig
meine Offenheit zu bewahren, haben mir die Gedanken der 85jährigen Nadine Stair
geholfen: Sie beginnen so:
„Wenn
ich mein Leben nochmal leben könnte, würde ich versuchen mehr Fehler zu machen.
Ich würde mich entspannen. Ich würde bis zum Äußersten gehen. Ich würde
alberner sein. Ich weiß einige Dinge, die ich ernster nehmen würde. Ich würde
verrückter sein.“ Und im Weiteren kommen Berge vor und Sonnenuntergänge, sie
würde mehr Eis essen und weniger Spinat. Mehr Gänseblümchen pflücken.
Seither
habe ich einen Gedanken von Nadine Stair immer in meinem Kopf: „Ich würde im
Frühling früher anfangen, barfuß zu laufen und im Herbst später damit
aufhören.“
Heute
ist es mir noch etwas zu kalt dafür.
Dass
wir beim Älterwerden jung bleiben, im Kopf und im Herzen, dass wünsche ich Ihnen
und mir. Gerlinde Anders, Pfarrerin in Leverkusen
Quelle: https://www.achtsamerleben.de/wenn-ich-mein-leben-noch-einmal-leben-koennte/ (Abgerufen 3.2.24)
Redaktion: Landespfarrerin Petra
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