Guten Morgen,
“Das ist aber ungerecht”, moppert Emma und
stampft mit dem Fuß auf. Das Gesicht hat sie zu einem Schmollmund verzogen, so
als wenn sie gleich anfangen würde zu heulen. “Immer darf Antonia länger
aufbleiben als ich. Ich bin doch auch schon groß.” Emmas Mutter kontert: “Du
bist aber vier Jahre jünger und der Film ist erst ab zwölf.“ Emma rennt aus der
Küche und verschwindet heulend wie ein Schlosshund in ihrem Zimmer. Kinder
nehmen kein Blatt vor den Mund, wenn sie etwas total ungerecht finden. Da kann
alles rechtens zugehen, und es gute Gründe dafür geben, dass sie anders
behandelt werden. Aus ihrer Sicht geht das gar nicht. Aber mir begegnet das
auch als Erwachsene immer wieder. Alles geht mit rechten Dingen zu, und dennoch
finde ich es ungerecht. Wenn zum Beispiel die eigene Fußballmannschaft das
ganze Spiel über dominiert, viel mehr Torchancen hat als die gegnerische
Mannschaft, eindeutig die bessere Mannschaft ist, man sie schon eine Runde
weiter sieht im Turnier, die Stimmung unter den Fans auf dem Höhepunkt ist und
am Ende, 30 Sekunden vor dem Abpfiff, die anderen doch noch einen Ball ins Tor
stolpern und gewinnen. Alles in Ordnung, kein Abseits, alle Regeln beachtet – und
trotzdem ungerecht. Oder wenn ich höre, dass bei einem Dozenten Klausuren an der
Uni so schwer sind, dass die Studierenden reihenweise nicht bestehen und
nochmal ranmüssen, und es dann erstaunlicherweise bei anderen Profs im nächsten
Semester für alle klappt. Also, je nachdem, an wen man gerät, stehen die
Chancen erfolgreich zu sein unterschiedlich. Und letztens haben wir einen
Zuschussantrag gestellt für eine Veranstaltung. Wir hatten alle Kosten
aufgeführt und warteten noch auf die schriftliche Zusage. Bevor die kam,
mussten wir aber zwei Rechnungen der aufgeführten Kosten unbedingt schon
bezahlen. Damit konnten sie dann später bei der Abrechnung nicht mehr berücksichtigt
werden. Nach den Richtlinien korrekt, für uns nicht wirklich einleuchtend. Beispiele
für rechtmäßiges Handeln, das dann doch individuell als ungerecht empfunden
wird, gibt es zuhauf. Wir geraten an unsere Grenzen, wenn wir Gerechtigkeit
herstellen möchten. Deshalb geben wir uns ja Regeln und Gesetze, damit nicht
alle nach ihren eigenen Maßstäben entscheiden und handeln. Sonst kämen wir nie
auf einen Nenner. Aber ganz selten finden wir Lösungen, die alle in gleicher
Weise gerecht finden oder für alle gleichermaßen gerecht sind. Es bleibt ein
Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit. Wenn wir es für alle gerecht
machen wollen, kommen wir ebenso an unsere Grenzen, wie wenn wir Frieden
herstellen möchten oder Freiheit für alle erreichen. Das kann, so glauben es
Christinnen und Christen, nur einer, der größer ist als wir, Gott. Und so
versuchen wir es wenigstens immer wieder und bitten Gott um seinen Beistand.
Denn: “Gottes Hilfe ist denen nah, die zu ihm gehören. Dann wohnt seine
Herrlichkeit wieder in unserem Land: Gerechtigkeit und Frieden küssen sich…
Gerechtigkeit scheint vom Himmel herab.” (aus Psalm 85,10-12, BasisBibel) Dass
es für Sie und für möglichst viele Menschen auf der Welt gerecht zugehen möge,
das wünsche ich uns heute Morgen.
Ende WDR 4, Verabschiedung für WDR 3
Ihre Barbara Schwahn, Krefeld.
Redaktion:
Landespfarrerin Petra Schulze
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/63756_WDR35240418Schwahn.mp3