Guten Morgen,
haben
Sie gut geschlafen heute Nacht? Und vielleicht auch geträumt? Etwas Schönes –
oder Verrücktes oder beides?
Ich
persönlich träume selten, genauer: Ich weiß es morgens nicht mehr. Denn es
heißt ja, jeder und jede träumt immer. Unser Kopf ordnet und filtert im Traum,
sortiert und wägt ab, was wir tagsüber erlebt haben. Merkwürdig – wie verrückt
es da zugeht, wenn wir träumend die Welt ordnen und das, was sie uns sagen
will.
Es
gibt eine jüdische Geschichte von Rabbi Bunam, die geht so:
Dem
Juden Eisik ben Jekel aus Krakau, träumte des nachts: Geh nach Prag und grabe an
der Karlsbrücke nach einem Schatz, der dort versteckt ist. Und weil der Traum
jede Nacht wiederkam, ging Eisik ben Jekel zuletzt los, um den Schatz zu holen.
Es heißt, er sei schon unterwegs glücklich gewesen, weil er seinem Traum folgte.
Bloß,
dass die Brücke in Prag bewacht war, und er nicht graben konnte. Doch kam er
jeden Morgen und blieb bis abends und wartete, ob er nicht doch noch graben
könnte. Einmal, sah ihn ein Wächter und fragte: „Warum kommst du denn Tag für
Tag hierher?“ Da erzählte ihm Eisik seinen Traum.
“Und
da bist du armer Kerl mit deinen zerfetzten Sohlen wegen einem Traum den ganzen
Weg von Krakau gekommen?“, lachte der Wächter: „Da hätt ja auch ich losgehen
müssen, als es mir träumte, nach Krakau zu gehen und in der Stube von Eisik dem
Sohn Jekels unter dem Ofen nach einem Schatz zu graben. Eisik Sohn Jekels! Ich
kann’s mir vorstellen, wie ich da drüben in Krakau, wo die eine Hälfte der
Juden Eisik und die andre Jekel heißt, alle Häuser aufreiße!”
Und
lachte wieder. Eisik ben Jekel aber verneigte sich und ging heim, grub den
Schatz unter seinem Ofen aus und baute das Bethaus, das jetzt „Schule von Eisik
ben Jekel“ heißt.
Nachdem er diese Geschichte erzählt hatte,
sagte Rabbi Bunam: „Merke dir: Es gibt etwas, dass du nirgends auf der Welt
finden kannst. Und es gibt doch einen Ort, wo du es finden kannst.“ (1)
Verrückt,
oder? Dass ganz in der Nähe, das sein soll, was ich wo ganz anders vermute.
Dass man oft meilenweit gehen muss, um ganz nah fündig zu werden.
Nein,
ich habe noch keinen Schatz unter meinem Ofen gefunden. Aber was die Geschichte
erzählt, kenn ich auch. Manchmal muss ich ganz schöne Umwege machen, um etwas
in mir selbst zu finden, das ich gar nicht kannte. Manchmal lockt mich eine
Sehnsucht ins Weite und dann stellt sich raus: Ich hätte ganz in der Nähe nur
mal einen Stein umdrehen müssen, um zu finden, wonach ich die ganze Zeit
gesucht habe in meinem Leben.
Welchen
Umweg ich wohl gehen muss und welcher Sehnsucht ich heute trauen sollte, um das
zu erfahren. Aber ich kann mich drauf verlassen: Gott, der mir die Träume
schenkt, führt mich manchmal weit weg, damit ich verstehe: Er ist mir die ganze
Zeit nah.
Einen
glücklichen Tag wünscht Ihnen,
Ihr
Jan-Dirk Döhling aus Bielefeld.
(1)
Erzählt nach Martin Buber, „Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre“,
Gütersloh 2001, 37f.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
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