Traumhaft nah

Kirche in WDR3 | 18.03.2024 | 00:00 Uhr

Guten Morgen,

haben

Sie gut geschlafen heute Nacht? Und vielleicht auch geträumt? Etwas Schönes –

oder Verrücktes oder beides?

Ich

persönlich träume selten, genauer: Ich weiß es morgens nicht mehr. Denn es

heißt ja, jeder und jede träumt immer. Unser Kopf ordnet und filtert im Traum,

sortiert und wägt ab, was wir tagsüber erlebt haben. Merkwürdig – wie verrückt

es da zugeht, wenn wir träumend die Welt ordnen und das, was sie uns sagen

will.

Es

gibt eine jüdische Geschichte von Rabbi Bunam, die geht so:

Dem

Juden Eisik ben Jekel aus Krakau, träumte des nachts: Geh nach Prag und grabe an

der Karlsbrücke nach einem Schatz, der dort versteckt ist. Und weil der Traum

jede Nacht wiederkam, ging Eisik ben Jekel zuletzt los, um den Schatz zu holen.

Es heißt, er sei schon unterwegs glücklich gewesen, weil er seinem Traum folgte.

Bloß,

dass die Brücke in Prag bewacht war, und er nicht graben konnte. Doch kam er

jeden Morgen und blieb bis abends und wartete, ob er nicht doch noch graben

könnte. Einmal, sah ihn ein Wächter und fragte: „Warum kommst du denn Tag für

Tag hierher?“ Da erzählte ihm Eisik seinen Traum.

“Und

da bist du armer Kerl mit deinen zerfetzten Sohlen wegen einem Traum den ganzen

Weg von Krakau gekommen?“, lachte der Wächter: „Da hätt ja auch ich losgehen

müssen, als es mir träumte, nach Krakau zu gehen und in der Stube von Eisik dem

Sohn Jekels unter dem Ofen nach einem Schatz zu graben. Eisik Sohn Jekels! Ich

kann’s mir vorstellen, wie ich da drüben in Krakau, wo die eine Hälfte der

Juden Eisik und die andre Jekel heißt, alle Häuser aufreiße!”

Und

lachte wieder. Eisik ben Jekel aber verneigte sich und ging heim, grub den

Schatz unter seinem Ofen aus und baute das Bethaus, das jetzt „Schule von Eisik

ben Jekel“ heißt.

Nachdem er diese Geschichte erzählt hatte,

sagte Rabbi Bunam: „Merke dir: Es gibt etwas, dass du nirgends auf der Welt

finden kannst. Und es gibt doch einen Ort, wo du es finden kannst.“ (1)

Verrückt,

oder? Dass ganz in der Nähe, das sein soll, was ich wo ganz anders vermute.

Dass man oft meilenweit gehen muss, um ganz nah fündig zu werden.

Nein,

ich habe noch keinen Schatz unter meinem Ofen gefunden. Aber was die Geschichte

erzählt, kenn ich auch. Manchmal muss ich ganz schöne Umwege machen, um etwas

in mir selbst zu finden, das ich gar nicht kannte. Manchmal lockt mich eine

Sehnsucht ins Weite und dann stellt sich raus: Ich hätte ganz in der Nähe nur

mal einen Stein umdrehen müssen, um zu finden, wonach ich die ganze Zeit

gesucht habe in meinem Leben.

Welchen

Umweg ich wohl gehen muss und welcher Sehnsucht ich heute trauen sollte, um das

zu erfahren. Aber ich kann mich drauf verlassen: Gott, der mir die Träume

schenkt, führt mich manchmal weit weg, damit ich verstehe: Er ist mir die ganze

Zeit nah.

Einen

glücklichen Tag wünscht Ihnen,

Ihr

Jan-Dirk Döhling aus Bielefeld.

(1)

Erzählt nach Martin Buber, „Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre“,

Gütersloh 2001, 37f.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/63588_WDR35240318Doehling.mp3

  • 18.3.2024
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