Seit
er denken kann, ist es bei ihm zu Hause schwierig. Wegen jeder Kleinigkeit gibt
es Ärger. Bestrafungen aller Art kann er nur entgehen, wenn er möglichst
unauffällig ist. Widerstand ist ohnehin zwecklos. Also versucht er zunehmend,
es seinen Eltern recht zu machen. Möglichst gute Schulnoten. Keine Widerworte.
Und auch sonst nicht unangenehm in Erscheinung treten. Das ist seine Taktik.
Die geht einigermaßen auf. Aber nur bei ihm zu Hause. Später
als Erwachsener funktioniert das nicht mehr. Irgendwann sieht er ein: Ich kann
es nicht allen recht machen. Es klappt einfach nicht. Und außerdem muss ich
mich dabei total verbiegen. Mehr, als für mich gut ist.
Seine Ehe ist dafür ein prima Beispiel. Er hat
versucht, für seine Frau der richtige Mann zu sein. Hat sich selbst total
zurückgenommen. Und das Ergebnis? Sie hat ihn verlassen. Fand ihn zu
langweilig. Und irgendwie unecht.
Bei seinen Kindern ist es ähnlich gekommen. Er hat für
sie alles möglich gemacht. Inzwischen ist die Beziehung zu ihnen aber eher
durchwachsen.
Auf der Arbeit läuft es etwas besser. Zumindest kommt
er klar. Aber besonders beliebt ist er nicht. Seine Versuche, es allen recht zu
machen, haben ihm viele als Anbiederei ausgelegt. Richtig weitergebracht hat
ihn das jedenfalls nicht.
Mittlerweile ist er an dem Punkt angekommen, wo er
merkt: Kein Mensch kann es allen recht machen. Dazu sind wir gar nicht in der
Lage.
Deshalb will er jetztetwas ändern in seinem Leben. Und
sich so zeigen, wie er ist. Mit Fehlern, Schwächen und Irrtümern. Er will
ehrlicher sein, auch mal anecken, zu dem stehen, was er selbst für richtig
hält. Es braucht ein bisschen Mut, aber er probiert es.
Und tatsächlich glaube ich: So sind wir auch Gott recht.
Mit unseren Ecken und Eigenheiten und Fehlern. So akzeptiert Gott uns. So liebt
er uns. Bestimmt wünscht sich Gott manchmal, dass wir besser miteinander
umgehen. Behutsamer, rücksichtsvoller, freundlicher. Aber ganz bestimmt
erwartet er von uns keine Perfektion. Weder im Umgang miteinander noch in
sonstiger Hinsicht. Wenn wir stattdessen die Bedürfnisse anderer Menschen und
unsere eigenen Wünsche ins Gleichgewicht kriegen, dann ist schon viel erreicht.
Das dürfte dann auch ziemlich gut zu dem passen, was Gott von uns will. Denn so
kommen nicht nur die anderen zu ihrem Recht. Sondern wir selbst ebenfalls. Und
übermäßig verbiegen müssen wir uns auf diese Weise auch nicht.
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth
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