Umarmung

Kirche in WDR2 | 20.04.2024 | 00:00 Uhr

Und schon wieder in den

Baumarkt! Och nee, da war ich gestern erst. Aber mir fehlen Dübel. Und ohne die

geht nichts. Also hin. Mein Achtjähriger hat Wind davon bekommen. Er muss mit,

sagt er. Nicht, dass er an Dübeln interessiert wäre. Eher an der Bäckerei, die

am Ausgang des Baumarktes auf Kunden wartet. Er spekuliert auf ein Stück

Kuchen. Meinetwegen. Kaum angekommen am Baumarkt, geht es los: Der Parkplatz

ist voll, alle drängeln und schimpfen. Die Dübel liegen nicht da, wo ich sie

beim letzten Mal ganz bestimmt noch gesehen habe. Und natürlich: Niemand da,

den man fragen kann. Als ich sie endlich gefunden habe, reicht die Schlange an

der Kasse schon bis zu den Akkuschraubern. Und irgendeiner schiebt mir von

hinten mit großer Ausdauer immer wieder schwungvoll den Einkaufswagen in die

Hacken. Was für ein Tag! Ich will nur noch weg hier. Am liebsten in den Wald

ziehen. Sofort, allein und ohne Telefon. Manchmal ist die Welt ätzend. Und, na

klar, auch der Bäcker am Ausgang ist voll. Super! „Aber du hast es

versprochen.“ „Na gut.“, sage ich. Zähneknirschend. Und stelle mich an. Mein

Kleiner merkt wahrscheinlich, dass bei mir der Blutdruck steigt und die Laune

sinkt. Er umarmt mich. Auch wenn ich dazu eigentlich gar nicht in Stimmung bin.

Neben uns wartet vor der Bäckertheke ein älterer Mann. Vielleicht Mitte

siebzig. Er sieht die Umarmung und spricht mich an: „Sie haben es gut“, sagt

er, „sie werden umarmt.“ Ich bin völlig verwirrt. Erwartet hatte ich, dass er

sich über irgendetwas beschwert. Passend zum Tag. Und zu meiner Laune. Mit

Freundlichkeit hatte ich nicht gerechnet. Also sage ich gar nichts. Mein Sohn

schon. Er grinst den Mann an und sagt: „Soll ich Sie auch umarmen?“ Und bevor

der Mann antworten kann, greift sich der Kleine den älteren Herrn und legt

seine Arme um ihn. Für den Moment: Schweigen. Aber alle lächeln. Der Mann, mein

Sohn. Und ich auch, obwohl heute einer von diesen furchtbaren Tagen ist. Als

wir den Kuchen endlich bezahlt haben, bleiben wir noch eine ganze Zeit zu dritt

beieinanderstehen. Erzählen. Und verabschieden uns schließlich fröhlich. Ich

weiß nicht, was da passiert ist. Ich weiß nur, dass dieser eine freundliche

Satz und diese, an sich ziemlich ungehörige Umarmung meinen Tag gerettet haben.

Die Bibel sagt: „Lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und

wer liebt, der ist aus Gott geboren.“ (1. Joh 4,7) Da stehe ich als Theologe

und lerne von einem Kind und einem älteren Herrn, was das bedeutet. Einfach und

grundlos freundlich zueinander zu sein, gibt dem Leben einen ganz anderen

Geschmack. Und es ist nicht schwer. Müsste ich wohl einfach nur mal öfter

machen. Hilft sogar im Baumarkt.

Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth

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  • 20.4.2024
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