Hintergründe, Fragen und Einordnung: „ForuM“-Studie zum Thema sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche und Diakonie

Zum Thema sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche und Diakonie hat  der Forschungsverbund ForuM am 25. Januar 2024 seine lang angekündigte Studie veröffentlich. Die Abkürzung „ForuM“ steht für „Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland.“ Hier Hintergründe und Informationen, um diese Studie und ihre Ergebnisse aktuell einzuordnen:

Die „ForuM“-Studie: unabhängige Studie zur „Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland.“

Anlass und Hintergründe

Das Forschungsprojekt ForuM ist unabhängig, aber finanziert von der Evangelischen Kirche und der Diakonie. Die Ergebnisse blieben zuvor auch den Auftraggeberinnen gegenüber unter Verschluss und wurden lediglich am Vorabend den Betroffenen bekanntgegeben, die namentlich in der Studie erwähnt werden.

Das Forschungsvorhaben liegt in den Händen von fünf Hochschulen bzw. Universitäten, einer Uniklinik und zwei Instituten. In einem Beirat begleiten u.a. Betroffene das Forschungsprojekt. In den nächsten Monaten wird die Studie mit ihren mutmaßlich zahlreichen Aspekten sorgfältig ausgewertet.

Das Forschungsprojekt umfasst mehrere Teilprojekte. Untersuchungsthemen sind u.a. der Umgang mit sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche, die Praxis der Aufarbeitung, Erfahrungen und Sichtweisen von Menschen, die sexualisierte Gewalt in Kirche und Diakonie erlitten haben, die Perspektive von Betroffenen auf kirchliche Strukturen und deren Nutzung durch Täter*innen und Kennzahlen zur Häufigkeit von sexualisierter Gewalt.

Warum ist die ForuM-Studie so wichtig und warum ist sie nicht vergleichbar mit anderen Studien?

Die ForuM-Studie ist ein ganz wichtiger Schritt, das Thema und möglichst jeden Missbrauchsfall öffentlich zu machen. Jeder Missbrauchsfall ist einer zu viel und eine Katastrophe für die Leittragenden. Um diese Menschen geht es. Es ist gut, dass eine Studie erstmals so breit angelegt ist. Es gibt bundesweit im Bereich von Schulen, Sportvereinen, Schwimmverbänden usw. bislang nichts Vergleichbares. Auch mit katholischen Untersuchungen ist die Studie so direkt nicht vergleichbar, da diese bislang vor allem das Verhalten von Priestern verfolgt haben. Die ForuM-Studie, an der viele Betroffene mitgearbeitet haben, hat das Ziel, möglichst alle Fälle im Bereich von evangelischer Kirche und Diakonie ab 1946 in den Blick zu nehmen. Eben nicht nur Pfarrpersonen. Also auch Kinderheime, Jugendeinrichtungen und vieles mehr seit mehr als 70 Jahren. Die Studie ist auch deshalb so wichtig, weil sie klarmacht: Wir sprechen über ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Was heißt das für uns vor Ort?

Das Thema beschäftigt uns auf allen Ebenen schon seit vielen Jahren und wir haben Konsequenzen gezogen. Alle Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen im Kirchenkreis Bonn haben ein Schutzkonzept erarbeitet. Alle Mitarbeitenden sind darauf verpflichtet und werden regelmäßig neu geschult. Auch die Kirchenleitenden, die eine besondere Verantwortung für das Ganze tragen. Die Schutzkonzepte sind alle veröffentlicht, in der Regel auf den Homepages. Es gibt zudem unabhängige Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner in unserer Region. Das ist ganz wichtig und muss heute Standard sein. Nicht nur in den Kirchen übrigens.

Wie geht es weiter?

Im Zuge der zwischen der EKD und der Unabhängigen Beauftragten für den Sexuellen Missbrauch vereinbarten regionalen aktiven Aufarbeitung erfolgt auch eine systematische Aufarbeitung im Kirchenkreis und den Gemeinden nach den dort vereinbarten Standards. Die EKD will auf der Synode im November 2024 weitere Schritte beraten und beschließen.

Gibt es Fälle im Kirchenkreis Bonn?

Wir haben im Kirchenkreis Bonn keine akuten Fälle und bislang auch keine Verdachtsfälle aus früheren Zeiten. Wobei nicht auszuschließen ist, dass es auch bei uns seit 1946 solche Fälle gegeben hat. Wir wünschen uns, dass sie bekannt werden. Die Studie ist ja auch erst in einem Zwischenstadium. Die Datenerhebung wird ja noch ausgeweitet.

Wie gehen wir damit um, wenn es Fälle gibt?

Ganz wichtig ist uns und das ist die grundlegende Haltung in der evangelischen Kirche: Wenn heute Fälle geschehen, geht das bei uns nicht erst durch diverse Kirchengremien zur Einschätzung und Beratung, sondern direkt an die Staatsanwaltschaft. Sie muss ermitteln. Sexueller Missbrauch ist eine Straftat.

Angebote für Missbrauchsopfer:

Auch im Evangelischen Kirchenkreis Bonn gibt es Angebote und Ansprechpartner*innen zur Missbrauchsprävention bzw. für Missbrauchsopfer. Sie arbeiten unabhängig von unseren Leitungsinstanzen. Hier braucht es gerade am Anfang, wenn Menschen etwas erlebt haben, was sie bedrückt, verletzt hat, ganz viel Sensibilität und einen geschützten Raum, damit gerade junge Menschen den Mut finden, das auch mitzuteilen. Sexueller Missbrauch geschieht fast immer in Abhängigkeitsverhältnissen und ist immer auch ein Missbrauch von Vertrauen. Die meisten Fälle geschehen in Familie. Wir lernen gerade in unserer Kirche wie in der ganzen Gesellschaft, viel wachsamer und aufmerksamer hinzuschauen. Für dürfen uns nie sicher sein, dass es nicht passiert. Vorbeugung und Prävention ist und bleibt eine Daueraufgabe für uns alle!

Hier der Link zur Seite der Forum-Studie: https://www.forum-studie.de

Hier der Link zur Landeskirche mit weiteren Fragen und Antworten auch zum Umgang mit Personalakten: https://www2.ekir.de/inhalt/antworten-auf-nachfragen-zur-forum-studie/

Hilfe für Betroffene‏ von unabhängigen Vertrauenspersonen

Wer im Raum der evangelischen Kirche oder der Diakonie eine übergriffige Situation, Missbrauch bzw. sexualisierte Gewalt erlebt hat, soll wissen: Das widerspricht allen Grundsätzen von Kirche und Diakonie von achtsamem, respektvollem Umgang miteinander. Auch in Kirche und Diakonie gilt: Nein heißt Nein. Bei Missachtung darf nicht geschwiegen werden und Betroffene erhalten unabhängige Hilfe.

Wer von sexualisierter Gewalt betroffen ist, wendet sich bitte an eine Vertrauensperson. Eine Vertrauensperson ist eine erfahrene, unabhängige Person, die Anfragen und Gespräche streng vertraulich behandelt.

Vertrauenspersonen im Gebiet von Kirche und Diakonie im Kirchenkreis Bonn sind:

Thomas Dobbek und Maria Heisig Tel. 0228 6880 150

Alternativ können Betroffene sich an Claudia Paul wenden, Ansprechstelle der Evangelischen Kirche im Rheinland, Telefon 0211 3610 312, claudia.paul@ekir.de. Web: https://ansprechstelle.ekir.de

Hintergründe, Einordnung und Schutzkonzept

Hier finden Sie weitere Informationen zum Thema und das Schutzkonzept im Kirchenkreis Bonn: „Nein heißt Nein“ – weitere Info und Kontakte 

Zur weiteren Einordnung zur ForuM-Studie hier ein Brief von Superintendenten Dietmar Pistorius an den Kirchenkreis Bonn (vom 27.01.2024): Superintendent Pistorius zur Forumstudie_27012024

Gebet von Präses Dr. Thorsten Latzel: Gottesdienstliches Wort_Präses_Latzel_ForuM-Studie

Zum Schutz vor jedem Übergriff und sexueller Gewalt

Die nächsten Schritte und weitere Hintergründe für die Kirchenkreise in unserer Region

Seit 2003 gibt es in der Evangelischen Kirche im Rheinland Leitlinien zum Umgang mit sexualisierter Gewalt. Mit der Handreichung „Die Zeit heilt keineswegs alle Wunden – Leitlinien zum Umgang mit sexualisierter Gewalt“ wurde das Thema schon damals in die Breite der rheinischen Kirche gebracht. Die Handreichung wurde im Laufe der Jahre mehrfach überarbeitet und aktualisiert.

2020 wurde ein Gesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt erlassen, das Prävention, Intervention und Aufarbeitung regelt. In der Folge haben auch in unserer Region alle Kirchenkreise und Gemeinden Schutzkonzepte erstellt und wurden und werden alle beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitenden geschult. Auf Ebene der Landeskirche wurde eine Ansprechstelle errichtet, an die sich Betroffene wenden können, eine Meldestelle, um erhärtete Verdachtsfälle zu erfassen, und eine Stelle für das Interventionsmanagement, um die Leitungsgremien darin zu unterstützen, im Verdachtsfall adäquat zu agieren und – in Abstimmung mit den Betroffenen –, die Fälle einer strafrechtlichen bzw. disziplinarrechtlichen Verfolgung zuzuführen.

Parallel dazu hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine Studie in Auftrag gegeben, die Ende Januar öffentlich vorgestellt wurde. Der Auftrag der sogenannten ForuM-Studie lag darin, die spezifischen Faktoren herauszuarbeiten, die in der Evangelischen Kirche den sexuellen Missbrauch befördern und eine Aufarbeitung, die den Betroffenen gerecht wird, erschwert oder verhindert.

Im Zusammenhang mit der ForuM-Studie wurden alle Personalakten der Pfarrpersonen die in der Evangelischen Kirche im Rheinland tätig waren oder tätig sind – diese liegen dem Landeskirchenamt vor – sowie die Personalakten der Mitarbeitenden auf der Ebene der Landeskirche gesichtet und Verdachtsfälle strafrechtlich bewertet.

Als nächster Schritt steht jetzt eine Sichtung der Personalakten aller übrigen Mitarbeitenden in Kirchenkreisen und Gemeinden an. Diese ist im Kirchenkreis An Sieg und Rhein bereits abgeschlossen.

Sich daraus ergebende Verdachtsfälle werden einer staatsanwaltlichen Bewertung zugeführt und anschließend der Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommission zugänglich gemacht.

Die Unabhängige Regionale Aufarbeitungskommission befindet sich gerade in Gründung: Dazu wurde ein Aufarbeitungsverbund gegründet. Die Landesregierungen wurden gebeten, unabhängige Beauftragte in die Kommission zu entsenden. In Anschluss an einen extern moderiertes Betroffenen-Forum im Juni, zu dem öffentlich eingeladen werden wird, werden Betroffene dann ihre Delegierten für die Aufarbeitungskommission benennen.

Wichtig ist uns, dass alle Schritte, die wir im Blick auf Prävention, Intervention und Aufarbeitung gehen, den Interessen der Betroffenen folgen und nicht denen der Institution Kirche.

Die Ansprechstelle für den Umgang mit Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung in der Evangelischen Hauptstelle für Familien- und Lebensberatung bietet Betroffenen, deren Angehörigen und anderen Ratsuchenden vertrauliche Beratung an. Ansprechpartnerin Claudia Paul ist unter Tel. 0211 3610-312 und per E-Mail an claudia.paul@ekir.de erreichbar.

(Januar 2024, zuletzt aktualisiert mit dem letzten Beitrag unten auf dieser Seite: 02.03.2024 / EB / Joachim Gerhardt / neu)

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