Guten Morgen!
Das Böse ist faszinierend. Mit verzückter
Inbrunst haben Künstler den Teufel ins Bild gesetzt: ein Fest der Fiesheit.
Groteske Gestalten, die keine Ekligkeit auslassen. Die höllischen Fratzen zu
studieren – das ist einfach himmlisch. Denn es ist ja nur ein altes Bild und da
weiß ich: Mich heute betrifft das nicht.
Es ist ein großer Irrtum, sich das Böse böse
vorzustellen, unmenschlich, gemein und hässlich. Alles Quatsch! Es ist ein
großer Fehler, den Teufel zu verteufeln.
Satan ist ein netter Typ. Ein richtiger
Versteher. Sympathisch. Einfühlsam. Kurzum: menschlich. Der kennt deine
Bedürfnisse besser als du selbst. Einer oder eine wie du und ich. Mehr noch: echt
fromm sogar. Und eine Stimme, die ist so vertraut wie deine eigene.
So jedenfalls stellt die Geschichte uns den
Teufel vor, die gestern zu Beginn der Fastenzeit in vielen Kirchen aus der
Bibel gelesen wurde. Eine Wahnsinnsgeschichte. Im buchstäblichen Sinn. Denn sie
erzählt davon, dass Jesus dem Wahnsinn nah ist. Vierzig Tage hat er einsam in
der Wüste gefastet. Da versagen einem die eingebauten Sicherungen. Da ist man
ganz auf sich geworfen. Oder soll man besser sagen: Ganz außer sich? Beides
wohl. Jedenfalls ist es die Verfassung, in der man schon mal dem Teufel
begegnet. Kommt er von außen? Oder ist er im eigenen Inneren? Der Gottessohn
entdeckt jedenfalls seine eigenen Anfälligkeiten und Abgründe. Stimmen und
Wünsche, die er sonst unter Kontrolle hat, machen sich selbständig und werden
laut.
„Bist du Gottes Sohn, dann sprich, dass diese
Steine Brot werden.“ Was soll der Unfug mit dem Verzicht? Komm schon:
Bedürfnisbefriedigung hier und jetzt. Du willst es doch.
Danach findet sich Jesus auf der obersten
Zinne des Tempels: „Stürz dich herab!“, flüstert die Stimme. „Es steht doch
geschrieben: Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich auf Händen tragen.“
Los, trau dich. Dir kann nichts passieren. Sei nicht feige. Wag den großen
Sprung. Der Applaus ist dir sicher.
Und schließlich wähnt sich Jesus auf einem
hohen Berg; die Welt liegt ihm zu Füßen. Da lockt ihn die Stimme: „Das alles,
will ich dir geben, wenn du dich von Gott lossagst und mir dienst“.
Weg mit dir, Satan!, bringt Jesus die Stimme
zum Verstummen. Auch wenn sie noch so verständnisvoll und noch so verlockend
ist, auch wenn sie noch so bibelfest und fromm klingt – er erkennt den
Selbstbetrug, zu dem sie ihn verführen will. Und er erkennt, wie unheilvoll es
wäre, dieser Stimme, diesen Versuchungen zu erliegen.
Selbst der Gottessohn ist nicht gefeit vor
dunklen Kräften. Kein Mensch ist ohne diese Abgründe. Kein Leben ohne Gelüste
nach Genuss, nach Grandiosität und Macht. Das ist kein Grund sich zu schämen.
Es ist erschreckend leicht, das Leben, die Liebe, Gott zu verraten und sich
selbst zu betrügen. Es ist ganz schön schwer zu widerstehen. Aber es ist nicht
unmöglich. Und ganz unter uns: Meistens habe ich doch eine Ahnung, wo ich
standhaft bleiben muss, oder nicht?
(Ende WDR 4,
Verabschiedung für WDR 3 und WDR 5:)
Einen gesegneten Tag wünscht Ihnen Pfarrerin Silke Niemeyer aus Münster.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
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